Rainer Wilckes Skulpturen
Rainer Wilckes Arbeiten stehen für ein neues Verständnis der Skulptur. Hier ist nicht mehr der abgeschlossene Körper der Gegenstand. Es zeigt sich der Körper im Werden.
Aus der Linie herausarbeitend gibt Wilcke der Skulptur eine transdimensionale Identität, aus der Linien sich zu Ineinander greifenden Flächen und schließlich zu Körpern entwickeln, die sichtbar eine Gestalt annehmen ohne ihr Werden in der Transparenz zu überdecken. Die Dichte, die in einem konventionellen Verständnis von Skulptur ausgefüllt ist, wird in Wilckes Arbeiten zu einer graduellen Dichte und damit selbst Gegenstand des Ausdrucks.
Wachstum steht hier vor Aufbau. Die überwiegende Zahl der Arbeiten hat einen organischen Charakter in der Anmutung. Diese Organik ist keine abbildende Organik. Sie kann sich auch, wie in der Arbeit "Brainpower", auf geometrische und modulare Ordnungen beziehen. Diese Schnittstelle von der äußeren, vom Menschen unabhängigen Natur und seiner inneren Natur, zu der auch das Konstruktive gehört, ist ein Merkmal der Kunst Wilckes.
Den Geweben wohnen Strukturen inne, die auch eine Reflexion klassischer Genres der Skulptur aufweisen. So gibt es Wandarbeiten, die eine frontale Perspektive vom Betrachter einfordern, wie man es von Masken und Reliefs kennt. Auf dem Boden stehende Gewebe zeigen eine Verbindung zur tradierten Standskulptur. Die hängenden Arbeiten vermitteln zu einer Auffassung von der Skulptur als eine Schwebende, wie sie aus der jüngeren Tradition, etwa in den Arbeiten von Calder, bekannt geworden ist.
Die geistigen Wurzeln zeigen an, dass der Bildhauer Wilcke in seinem Werdegang die historischen Stadien über Jahrzehnte auch am Stein durchgearbeitet hatte, bevor er den sozusagen "luftleeren Raum" erreichte. Auch am Stein ist die Linie für ihn das Entscheidende gewesen.
In den Linienführungen, Ballungen, Wölbungen, Verdichtungen und Durchdringungen entfaltet sich die Form in einer Welt des reifenden Sehens, wie sie sich als Basis der menschlichen Wahrnehmung etabliert, bevor sie an die Sprache mit ihren Symbolzuweisungen gekoppelt wird. Wilcke sagt: "Die Ausstrahlung bestimmt die Form." Die Wesen, die in seinen Arbeiten in Erscheinung treten, eröffnen uns ein Reservoir für neue Symbole. Dieses Reservoir beinhaltet einen Fundus menschlicher Möglichkeiten. Es erinnert uns daran, dass unsere Symbole immaterielle, soziale Vereinbarungen sind, die immer nur eine Auswahl evolutionärer Möglichkeiten darstellen.
Die vorbewusste Ebene des greifenden Sehens, des sehenden Greifens wird in den "werdenden" Geflechten als poetischer Raum genutzt, in dem der Künstler den Betrachter als Subjekt anspricht. Diese Authentizität, die jeder Kunst innewohnen sollte, ist die Ebene einer emotionalen Mitteilung, wie sie zwischen einzelnen Menschen stattfindet.
Zum Ich und Du braucht eine Kunst das Wir. Das Wir kann durch die Mitteilung allein nie erreicht werden. In der Gemeinschaft zählt das Mittel. Die mediale Verfassung eines Kunstwerks braucht eine historisch progressive Einbindung.
Wenn man die Skulpturen von Rainer Wilcke betrachtet, wird klar, dass hier Dinge berührt werden, die auch die zeitgenössischen Diskussionen über die Neurobiologie bestimmen. Er sagt: "Meine Arbeit ist ein direkt nachempfundener Spiegel meiner Gehirnaktivität."
In den vielen, langen Gesprächen, die ich mit Rainer Wilcke führe, spricht er oft von geschlossenen, sich öffnenden, offenen und zerfallenden Systemen. Es zeigt sich so, dass der Poet auch ein intuitiver Forscher ist. Werden und Vergehen, die Dynamik des Lebens führen in seiner Gedankenwelt nicht nur zu Werken, also Handlungen. Die Handlungen sind immer in eine Haltung eingebunden.
Rainer Wilcke: Vita
1947 | in Hamburg geboren | |
1964-1967 | Ausbildung zum Steinbildhauer | |
1978-1986 | Studium an der Hochschule für bildende Künste Hamburg Prof. Rückriem – Bildhauerei Prof Mavignier – Malerei |
Stipendien | |
2010 | Röderhof Stipendium. Gefördert durch das Land Sachsen Anhalt |
1993 | Dreimonatiges Arbeitsstipendium in Selk bei Schleswig Gefördert durch die Kulturbehörde Schleswig Holstein |
1985 | Viermonatiger Studienaufenthalt in Carrara Italien |
Einzelausstellungen (Auswahl) | |
1995 | Neue Galerie Hannover "Erd-Wende" Erdzeichnungen, Erdtafeln, Erdwandverputzung, Performance |
1992 | Galerie Kunststück, Hamburg "Geschützte Erde" Erdskulpturen und Erdverputzung |
1989 | Kunsthaus Hamburg "Der blaue Planet" begehbare Installation |
1984 | Spritzenhaus - Kampnagelgelände, Hamburg "Bildräume" Begehbare Bildinstallation im Dokumentarfilm "Suri Wumm" von Wimmer Wilkenloh Skulpturen, Zeichnungen und Installation |
Gruppenausstellungen (Auswahl) | |
2008 | “Unterschwellig” Kunsthaus Hamburg |
2007 | Kunstaktion im Museum für Kommunikation Hamburg |
2006 | "Pflanzendialog" Kunstverein Harburger Bahnhof zwei Erdpflanzen Skulpturen als Glas-Schauboxen |
2004 | "SkulpturenLandschaft" Rathauspark, Hamburg-Bergedorf Steinskulpturen |
2002 | EinstellungsRaum “Performance“ |
1995 | Internationales Natursymposion in Süd-Korea Erdskulptur |
1995 | Pinneberg Drostei “Dialog 2“ |
1994 | Kunstforum Nord 7 in Schwerin Erdverputzung |
1994 | Synagoge in Pilsen (Tschechien) Erdverputzung |
1994 | “Farbe im Quadrat“ Kunsthaus Hamburg Erdtafeln |
1994 | Terra Vita (Aachen) "Architektur und Kunst" Erdskulptur |
1994 | Synagoge in Trinava (Slowakei) Erdarbeiten |
1993 | Internationales Symposion bei Graz (Österreich)Erdskulpturen |
1983 | Kunstverein Ulm Zeichnungen |